Nach Castor-Protest im Polizeikäfig

Hiermit dokumentieren wir einen Artikel der Beobachter-News zur Repression nach den Castor-Transporten auf dem Neckar.

Nach Castor-Protest im Polizeikäfig – Rechtswidriger Gebührenbescheid nach Brückenbesetzung in Heilbronn aufgehoben

 

Von Paul Linker – Neckarwestheim. Wir erinnern uns: Vor zwei  Jahren fand der brandgefährliche Neckar-Castor-Transport statt. Dagegen gab es breiten Widerstand. Im Zug einer Brückenbesetzung hagelte es Platzverweise, an die sich ein Aktivist nicht hielt. Er wurde in Gewahrsam genommen und zu einem Bußgeld verurteilt. Außerdem erhielt er von den Einsatzkräften einen Gebührenbescheid, gegen den er Einspruch einlegte. Nun, nach zwei Jahren, bekam er ausweislich eines „Abhilfebescheids“ zu seiner Überraschung Recht.

In Zeiten immer höherer Temperaturen glauben rechte Parteien wie die AfD ja immer noch daran, dass es keine Klimakrise gibt. Solche Populisten verkaufen die Atomkraft aber auch gerne zusehends als eine Art Heilmittel gegen den durch eine kapitalistische Produktionsweise verursachten Klimawandel.

Repression nach kreativem Widerstand 

Auf dem Neckar gegen Castor-Transport – Archivbild

Die von einem grünen Ministerpräsidenten geführte baden-württembergische Landesregierung schien im Jahre 2017 auch nicht an eine solche Klimakatastrophe gedacht zu haben. Sonst hätte sie wohl nicht mehrere Castor-Transporte vom AKW Obrigheim nach Neckarwestheim genehmigt. Der gute alte Neckar wurde für eine völlig neue Transportart von hochgefährlichem Atommüll auf einem Binnenfluß als Versuchskaninchen missbraucht. Gegen die damaligen Transporte gab es auch einen sehr kreativen Widerstand, der allerdings staatlicher Repression ausgesetzt war (wir berichteten).

Bei den ersten Protestaktionen gegen diese Castor-Transporte am 28. Juni 2017 in Heilbronn kam es im Anschluss an eine kraftvolle Demonstration zu einer spontanen Besetzung der dortigen Otto-Conz-Brücke, die wie zu erwarten nach einiger Zeit recht rüde von der reichlich eingesetzten Polizei aufgelöst wurde. Gegen alle AktivistenInnen wurden in der Folge großräumige Platzverweise ausgesprochen (siehe „Kletterer stoppen Castortransport„).

Im Käfig gab es Bananen

Symbolbild

Einer der Aktivisten hielt sich nicht an diesen Platzverweis. Einige Stunden später wurde der Aktivist von den Polizisten aufgegriffen und mit einem Gefangenentransporter in das beschauliche Autobahnpolizeirevier Weinsberg verbracht. Dort wurde er ausweislich eines kürzlich erhaltenen Bescheides von 15.40 Uhr bis exakt 18.04 Uhr (die deutsche Bürokratie lässt grüßen) in einem Freiluft-Käfig seiner Freiheit beraubt (siehe „Castor to Hell„). Zum Essen wurden ihm tatsächlich Bananen angeboten.

Im September 2018 wurde der Aktivist wegen „Nichtentfernens von einer aufgelösten Versammlung“ vom Amtsgericht Heilbronn zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt (siehe „Wenn es jetzt hier um einen Mord ginge …“). Das klingt wenig, mit den sogenannten Gerichtskosten kam aber eine Summe von fast 300 Euro zusammen, die er mit solidarischer Unterstützung bezahlen konnte.
Der Mann sah sich damals auch gezwungen, sich selbst zu verteidigen, da mehrere LaienverteidigerInnen vom Gericht abgelehnt wurden.

Zusätzlich sah sich der Aktivist weiteren Forderungen ausgesetzt. Bereits im September 2017 erhielt der Mann vom Polizeipräsidium Einsatz in Göppingen einen saftigen Gebührenbescheid über exakt 300,89 Euro. Dieser Bescheid wurde „für die Anwendung unmittelbaren Zwangs mit Unterbringung im Polizeigewahrsam“ ausgestellt.

Berechnet wird auch der Transport im Polizeiwagen

Symbolbild

In so einem Bescheid werden lustige Dinge aufgeführt. Die „Anwendung unmittelbaren Zwangs“ wird zum Beispiel mit einem Unkostenbeitrag von 90 Euro bewertet. Auch Polizeihunde kosten etwas, und der „Transport im Polizeifahrzeug“ bringt volle 104 Euro in die Staatskasse.

Der Aktivist sah nicht ein, noch mehr Geld der Repression in den Rachen zu schieben, und legte Widerspruch nicht nur gegen den Gebührenbescheid, sondern auch gegen die diesem Bescheid zugrundeliegenden polizeilichen Verfügungen ein –  also gegen den Platzverweis und vor allem die sogenannte Ingewahrsamnahme.

Das Einlegen dieses Widerspruches gestaltete sich schwierig. Das erste Widerspruchsschreiben wurde vom zuständigen Polizeipräsidium Einsatz mit einem Schmierzettel versehen zurückgesandt. Angeblich sei der zuständige Sachbearbeiter im Hause nicht bekannt. Nach einiger Mühe gelang es dem Mann, seinen Widerspruch doch noch erfolgreich einzulegen. Dies war im Oktober 2017.

„Dann passierte fast zwei Jahre – nichts.“

Nun erst, Ende Juli 2019, erhielt der Mann die Antwort auf seinen Widerspruch, erneut vom Polizeipräsidium Einsatz in Gestalt des dortigen Referates „Recht und Datenschutz“. Zur grenzenlosen Verblüffung des Aktivisten handelte es sich um einen sogenannten „Abhilfebescheid“.

Es gibt Gerüchte, dass Behörden nur in äußersten Notfällen zu einem solchen Mittel greifen. Mit diesem Abhilfebescheid wurde nämlich der besagte Gebührenbescheid vom September 2017 aufgehoben, die Kosten des ganzen Verfahrens trägt das Land Baden-Württemberg.

Gebührenbescheid war rechtswidrig 

Symbolbild

In diesem Bescheid wird dem Aktivisten mitgeteilt, dass sein Widerspruch begründet ist, der Gebührenbescheid rechtswidrig war und damit den Mann in seinen Rechten verletzt hat.

Da sich der Widerspruch des Mannes aber nicht nur auf den Gebührenbescheid, sondern auch auf die sogenannten zugrundeliegenden polizeilichen Verfügungen bezogen hat, ergibt sich hieraus die zwingende Logik, das auch der ursprüngliche Platzverweis und die Ingewahrsamnahme rechtswidrig waren. Darauf wird in dem Bescheid auch klar hingewiesen, denn dort fallen Sätze wie:
„Vor diesem Hintergrund genügt bereits die Darstellung der Ausgangsmaßnahme, des Platzverweises, nicht den gesetzlichen Anforderungen“ oder dass die die deshalb verhängten polizeilichen Maßnahmen „…nicht gerecht…“ waren. Oder ein anderes Beispiel:“…wird auch die Ingewahrsamnahme selbst den Anforderungen an die Begründung eines…Verwaltungsaktes nicht gerecht.“

Berufung war wegen „geringer Geldbuße“ nicht möglich

Symbolbild

Ebenfalls interessant ist der Umstand, dass zum Zeitpunkt zumindest der Ingewahrsamnahme „noch eine Versammlungslage gegeben war und daher Maßnahmen nach dem PolG BW (Polizeigesetz Baden-Württemberg) grundsätzlich nicht durchgeführt werden durften.“
Ja, das gute alte Polizeigesetz. Es macht weiter Furore.

Genau dafür wurde der Aktivist im September 2018 vom Amtsgericht Heilbronn aber verurteilt (wir berichteten), da er sich „von einer aufgelösten Versammlung nicht entfernt habe“. Ja, was gilt denn nun? War die vorherige Auflösung der Versammlung dann auch rechtswidrig? Ist die Versammlung überhaupt aufgelöst worden? Fragen über Fragen.
Eine Berufung gegen das damalige Urteil war übrigens aufgrund der „geringen“ Geldbuße von „nur“ 100 Euro nicht möglich. Grüße vom Rechtsstaat.

War der Aktivist von 15.40 bis 18.04 Uhr dann auch rechtswidrig in Gewahrsam? Wie nennt man so etwas? Nach diesem Bescheid könnte man es vermuten.

Ein Bürger wäre wegen Freiheitsberaubung dran

Abschließend noch ein Hinweis: Im Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes wird das Recht auf Freiheit definiert. Die sogenannte Freiheit ist neben dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrheit eines der durch das Grundgesetz von 1949 besonders geschützten Rechtsgüter. Dieses Rechtsgut der Freiheit darf nur in besonderen Ausnahmefällen, die im ebenfalls im Grundgesetz geregelt sind, eingeschränkt werden.

Ein laut des genannten Abhilfebescheides rechtswidriges Verhalten der Polizei wird im Kontext des Grundgesetzes aber nicht erwähnt.

Anders ausgedrückt: Würde ein normaler Bürger eine andere Person insgesamt 2 Stunden und 24 Minuten in einen Käfig sperren, würde er sich der Freiheitsberaubung nach §239 Strafgesetzbuch schuldig und darüber hinaus auch schadenersatzpflichtig nach §823 BGB machen.

In diesem Sinne: Man sieht sich… auf der Straße!

Quelle: http://www.beobachternews.de/2019/08/01/nach-castor-protest-im-polizeikaefig/