Gelbe Westen? Braune Streifen! Erklärung zum Prozess am 27.01.2020

Einstellung im Strafverfahren wegen einer Gegenkundgebung zur Demonstration sogenannter Gelbwesten im Mai 2019 in Heilbronn.

Am 27. Januar 2020 fand vor dem Heilbronner Amtsgericht das Strafverfahren gegen einen Aktivisten aus dem antifaschistischen und antirassistischen Spektrum statt. Ihm wurde die angebliche „faktische“ Leitung einer spontanen und deswegen nicht angemeldeten Versammlung am 4. Mai 2019 auf dem Berliner Platz in Heilbronn vorgeworfen. Dort machten Aktivist*innen anlässlich einer Demonstration der „Gelben Westen Heilbronn 2.0“ auf den zumindest rechtsoffenen Charakter dieser Gruppe sowie personelle Verflechtungen zwischen selbsternannten „besorgten Bürgern“ und rechtsextremem Spektrum aufmerksam. Sie hielten den Zug der gelben Westen kurzfristig auf und verliehen ihrem Protest gegen rechten Populismus, Intoleranz und Rassismus lautstark und sichtbar Ausdruck.

Für politische Polizei und Staatsanwaltschaft stellte das einen strafbaren Verstoß gegen die prinzipielle Pflicht dar, Versammlungen anzumelden. Für diese angebliche Verletzung des Versammlungsgesetzes sollte der angeklagte Aktivist individuell belangt werden …

… obwohl aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit in ständiger Rechtsprechung auch eine Ausnahme von der Anmeldepflicht folgt: das Recht auf spontanen, versammlungsrechtlich zulässigen Protest, wenn dessen Anlass erst kurzfristig entsteht oder bekannt wird.

… obwohl Gegenprotest ein legitimer Ausdruck von Meinungsfreiheit und politischer Auseinandersetzung ist.

… obwohl während der Versammlung selbst keine wie auch immer gearteten strafbaren Handlungen stattgefunden haben – selbst nach Meinung von Richter und Staatsanwaltschaft.

… obwohl die Begründung einer sogenannten „faktischen Versammlungsleitung“ des Angeklagten denkbar dünn ist: er hat die (angeblich nicht spontane) Versammlung nach Aktenlage weder eröffnet, noch geleitet oder beendet.

Angesichts eines solchen Verfolgungswillens ist es schon mehr als ein kleiner Erfolg, dass das Verfahren im Verhandlungstermin am 23. Januar 2020 gegen Auflagen eingestellt wurde. Wir freuen uns mit dem Aktivisten und seinem Umfeld über den glimpflichen Ausgang. Der Versuch, legitime antirassistische und antifaschistische Politik mit einer eigenwilligen Auslegung des Versammlungsrechts zu kriminalisieren, ist weitgehend gescheitert – in diesem Fall.

Zwei Dinge bleiben festzuhalten:

Zum einen stellt das Konstrukt der „faktischen Versammlungsleitung“ ein Instrument dar, mit dem in Heilbronn und anderswo der Versuch gemacht wird, die Ausübung von Versammlungsfreiheit in unzulässiger Weise einzuschränken. Versammlungsrecht wird extrem restriktiv ausgelegt, mit abenteuerlichen Begründungen werden „Rädelsführer*innen“ konstruiert und Aktivist*innen aus verschiedenen Spektren wird sehr praktisch deutlich gemacht, dass sie im Visier von Sicherheitsbehörden und Strafverfolgung stehen. Das alles lässt sich kaum mit Forderungen nach zivilgesellschaftlichem Engagement gegen antidemokratische Tendenzen vereinbaren. Genauso wenig entspricht es dem hohen Stellenwert, den die Versammlungsfreiheit nach Ansicht des Verfassungsgerichts für eine gesunde, streitbare Demokratie hat – gerade in Zeiten rechter Hetze und Gewalt.

Zum anderen hat sich das Heilbronner Amtsgericht einmal mehr damit hervorgetan, in Verfahren gegen unliebsame Aktivist*innen mit diskriminierenden Maßnahmen zu glänzen. Kurzfristig ordnete der vorsitzende Richter eine Verlegung der Verhandlung und umfassende Personenkontrollen und -durchsuchungen am Einlass zum Gerichtssaal an. Dies wurde damit begründet, dass angeblich unerwartet eine „Masse“ aufgetaucht sei, die potentiell den ordnungsgemäßen Verhandlungsverlauf gefährdet habe. Eine solche Beschreibung von etwa 20 Unterstützer*innen, Freund*innen und Prozessbeobachter*innen lässt tief blicken.

Bleibt auf der Straße aktiv! Spontaner Protest ist notwendig und legitim! Spendet für Prozesskosten!

Rote Hilfe OG Heilbronn

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